Opfer des Holocaust
 

 

 

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Johanna und Leopold Hirsch aus Büttelborn / Darmstadt -
deportiert nach Theresienstadt, ermordet in Auschwitz

 

 

 

 


Am 25. Mai 2011 war in der amerikanischen Zeitung „St. Louis Jewish Light“ eine bewegende Geschichte zu lesen. Der 94jährigen Elsie Levy-Hirsch aus Olivette im US-Bundesstaat Missouri wurde ein Paket aus Deutschland überbracht, darin Erinnerungsstücke ihrer 1942 deportierten Eltern.

 

Die Eltern von Elsie Levy-Hirsch lebten damals in Darmstadt. Unmittelbar vor der Deportation konnten sie ihrer nichtjüdischen Nachbarin eine Schachtel mit Familienfotos und jüdischen Gebet- und Liederbüchern zur Aufbewahrung übergeben. Die Nachfahren dieser Nachbarin haben mit Hilfe von Joachim Hahn (Plochingen, webmaster von alemannia-judaica.de) die Anschrift von Elsie Levy-Hirsch ermittelt, so dass ihr das Vermächtnis der  Eltern 70 Jahre nach deren Verschleppung und Ermordung übergeben werden konnte. Eine wirklich anrührende Geschichte.

 

Elsie Levy-Hirsch im Jahre 2011 -  70 Jahre nach der Deportation ihrer Eltern hält sie deren Vermächtnis in Händen. (Quelle+© der Abb. St. Louis Jewish Light)

 



Die Familie Hirsch, Leopold Hirsch (*1886) und Ehefrau Johanna Hirsch (*1890), lebten mit ihren Kindern Ferdinand (*1913), Ludwig (* 1914) und Elsie (* 1917) in Büttelborn, wo Leopold Hirsch einen Eisenwarenhandel betrieb.

 

Familie Hirsch im Jahre 1919+1921 (Quelle: www.alemannia-judaica.de)

 

 

 

1937 verkauften die Eltern das Haus in Büttelborn und zogen mit der Tochter Elsie (die Brüder waren schon in die USA emigriert) in das Elternhaus der Frau nach Crumstadt. Nach den Ausschreitungen in der sog. Reichskristallnacht im November 1938 flohen sie nach Darmstadt und lebten dort bis zur ihrer Deportation in der Wilhelmstraße 10.

Das Tragische an der Geschichte ist neben dem Tod von Leopold und Johanna Hirsch das Verhalten der amerikanischen Einwanderunsgbehörde. Leopold und Johanna Hirsch hatte schon die Ausreisegenehmigung in der Tasche. So wurde Johanna Hirsch 1941 auch ein amerikanisches Visum erteilt. Ihrem Ehemann Leopold wurde es - so der Artikel der St. Louis Jewish Light - jedoch seitens der US-Behörden aufgrund seines „schlechten Gesundheitszustandes“ verweigert. In einem Brief von Elsie Levy-Hirsch aus dem Jahre 1988, den sie auf Bitten, etwas zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Büttelborn beizutragen, verfasst hat, findet man dazu noch erläuternd, dass Leopold Hirsch das Visum „wegen eines Magenleidens“ nicht erteilt worden sei. (Schleindl, Verschwundene Nachbarn, S. 84 f)

 


 

Soweit ist die Geschichte bekannt. Hier noch einige zusätzliche Erläuterungen und Archivfunde:
 

 

1942 wurden Leopold und Johanna Hirsch von Darmstadt nach Theresienstadt deportiert und später nach Auschwitz verbracht, wo sie ermordet wurden.
 

Die von Elsie Levy Hirsch 2001 ausgefüllten Yad Vashem-Fragebögen) (Quelle: The Central Database of Shoah Victims' Names)

 

 

 

 

Dass Leopold und Johanna Hirsch 1941 überhaupt noch eine Ausreisegenehmigung durch die deutschen Behörden erhielten, war großes Glück. Einige Monate später, im Oktober 1941, verhängte das NS-Regime ein striktes Auswanderungsverbot. Da war der Massenmord beschlossene Sache. Davor gestaltete sich die Situation folgendermaßen:
 

  • Generell mussten sich die auswanderungswilligen jüdischen Mitbürger registrieren lassen, ihren gesamten Besitz deklarieren und Zwangsabgaben an den NS-Staat leisten. Der gesamte verbliebene Besitz wurde konfisziert. Viele deutsche Juden konnten das Geld für die Emigration nicht aufbringen. Die Beschaffung von Devisen war andererseits den Wohlhabendären legal nicht möglich. Auf Devisenvergehen stand seit 1936 die Todesstrafe.
  • Aufnahmeländer: Viele Länder waren nicht bereit, aus Deutschland fliehende Juden aufzunehmen. Ausnahme Großbritannien. Auch die USA waren bis 1939 für deutsche Juden, die sich die Überfahrt leisten konnten, ein sicherer Zufluchtsort. Doch als 1939 erstmals die von den USA festgelegten Einwanderungsquoten überschritten wurden, mussten sich die Ausreisewilligen auf Wartelisten setzen lassen.
  • Ein weiteres Hindernis: Einwanderer in die USA mussten ein "Affidavit" (eine Bürgschaftserklärung eines dortigen Bürgers) beibringen.

Leopold und Johanna Hirsch hatten alle Hürden überwunden.

Im April 1940 hatte ihr Sohn Ferdinand die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben.  Damit konnte er als Bürge auftreten. 1941 hatte er für seine Eltern die Überfahrt bezahlt und damit Anrecht auf einen Platz auf einem Auswandererschiff erworben; insgesamt $ 1.500. Hinterlegt wurde der Betrag beim „Jewish Transmigration Bureau“ (s.u.).
 

Wegen der Haltung der Einwanderunsgbehörde aber hatte das seinen Eltern nichts genutzt. Es bedeutete das Todesurteil für sie.

 


 

Dokumente:

Einzahlungen beim Transmigrationsbüro;
Einreise in die USA von Ludwig und Ferdinand Hirsch;
Einbürgerungsbescheid für Ferdinand Hirsch

(zur Vergrößerung auf die Abb. klicken)

 

Quellen+Literatur:

www.stljewishlight.com/features/article_e0b0f75e-86eb-11e0-8d98-001cc4c002e0.html

www.alemannia-judaica.de/buettelborn_synagoge.htm

Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn, Groß-Gerau 1990, S. 84 f

www.ancestry.com

 

 

  Informationen zum Transmigrationsbüro:

Das Transmigrationsbüro war eine Non-Profit-Service-Agentur, die am 21. Juni 1940 in New York City vom „American Jewish Joint Distribution Committee“ (JDC) gegründet worden war, um die Auswanderung von Juden aus Deutschland, Österreich, der ehemaligen Tschechoslowakei, Holland, Belgien und Luxemburg zu ermöglichen. Der primäre Zweck des Transmigrationsbüros war die Annahme von hinterlegtem Geld von in den USA lebenden Freunden oder Verwandten, das zur Bezahlung der Überfahrt der emigrierenden Juden aus den europäischen Ländern dienen sollte. 
Die europäische Niederlassung des JDC wurde kurz nach der Gründung 1940 vom besetzten Paris in das neutrale Lissabon verlegt. Das JDC leaste jedes verfügbare Schiff, um den Tausenden in Lissabon ankommenden Flüchtlingen eine Überfahrtsmöglichkeit zu bieten.
Weil es nicht möglich war, dass die Emigranten die Schiffskarten in lokaler Währung bezahlten, war es praktisch in allen Fällen erforderlich, dass das Ticket entweder von amerikanischen Freunden oder Verwandten oder durch einen Fonds des JDC (zur Verfügung gestellt von örtlichen jüdischen Hilfsorganisationen) bezahlt wurde.
Die genaue Summe der Überfahrtskosten variierte je nach Herkunft der Auswanderer. Die Durchschnittskosten beliefen sich auf 450 US $, die sich aufschlüsselten in:
Schiffspassage: 350,00 $
Einschiffungskosten: 19,50 $
Steuern: 8,00 $
Aufenthalt in Lissabon: 10,00 $         
Bahnfahrt von der spanischen Grenze nach Lissabon: 42,00 $
Aufenthalt auf dem Schiff: 10,00 $
Kosten für Telegramme: 10,50 $
Der Geldbetrag, der von einem amerikanischen Deponenten eingezahlt wurde, verblieb so lange auf einem Treuhandkonto, bis der europäische Emigrant die sichere Zusage für eine Schiffspassage und alle erforderlichen Reisedokumente wie Transitvisa und die Einwanderungserlaubnis erhalten hatte. In einigen Fällen leisteten örtliche jüdische Emigrationsbehörden Hilfestellung und Beratung bei der technischen Abwicklung der Ausreise.
Über die Datenbank:
Die Datenbank enthält Einzahlungsscheine für rd. 60.00 Personen, die aus den oben erwähnten europäischen Ländern in den Jahren 1940-1942 emigrierten. Bei den Zielorten der Auswanderer handelte es sich um verschiedene Länder, in der Mehrzahl der Fälle waren es allerdings die USA, die per Dampfschiff über Lissabon oder Yokohama angesteuert wurden. Passagen nach Shanghai wurden über die Transsibirische Eisenbahn abgewickelt. Bei den Karten handelte es sich um vorgedruckte Formulare.


 

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Erstellt am 24.6.2011
© Text und Abb. wenn nicht anders vermerkt: Graf von Gimbsheim-Team